Eine große Aufgabe

Eine Erzählung über den neuen Ritter der Grenzfeste Dragonford.
Erlebt und aufgeschrieben von
Sir Braddock im Sommer 597 v.K.

Alles, was ich wußte, war, daß ich von nun an die Mahas Furt in Hypen halten sollte. Nach allem, was über diesen Ort erzählt wird, kam es mir vor, als sollte ich das Torhaus Vallconnans verteidigen, zu Fuß und nur mit einem Knüppel bewaffnet. Doch meine Mutter würde jetzt sagen : „Du wärst nicht deines Vaters Sohn, wenn du es nicht versuchen würdest.“ Also machte ich mich alsbald nach meiner Ritterschlagszeremonie im Sommer des Jahres 497 v.K. auf den Weg von Saltway zu meinem neuen Heim. Was würde mich dort erwarten. Es war mir, als umgäben Wolken meinen Geist.

Der Abschied von Eagles Peak war herzlich und froh. Ich reiste die erste Hälfte der Strecke zusammen mit meinen Kameraden Leon und Martin. Wir ließen gemeinsame Erlebnisse in unseren Erzählungen wiedererwachen und phantasierten über unsere Zukunft. Doch ab Mondschau trennten sich unsere Wege. Martin und Leon wollten über die Salzstraße nach Malmedy, doch mein Weg führte westlich über die alte Königsstraße nach Hypen, quer durch den sagenumwobenen Hertogenwald. Auf der Königsburg, die zu dieser Zeit kurz nach dem Magiezwischenfall mehr noch eine Baustelle war, erwartete mich ein Kontingent aus Dragonford, um mich auf dem verbleibenden Weg zu begleiten. König Valerian meinte, es sei eine geziemliche Begleitung für einen Ritter, der Einzug hält auf seiner neuen Burg.

Als ich die Kämpen der beiden Dragonforder Squads vor mir sah, verstand ich, daß die vielen Erzählungen über Hypen und die westlichen Grenzgebiete wahr sein mußten. Jedes einzelne Gesicht, in das ich schaute, erzählte eine Geschichte aus Mut, Entsetzen, Ausdauer und eisernem Willen. Nicht oft in den Jahren meines Dienstes für Graf Henry war ich tatsächlich in Hypen gewesen.
Ja, es stimmte! Die Westgrenze macht hart. Man kann an ihr zerbrechen, wenn man schwach ist im Glauben und schwankend im Willen. Doch ist man stark und weiß Freunde an seiner Seite, erwächst die unbändige Kraft eines jeden, wie die Kraft des Vallconnischen Adlers in unserem alten König Scott Dragonmight I.

Obwohl ich recht spät am Nachmittage in Mondschau ankam, beschloß ich, noch am selben Tage wenigstens bis Amalgaid weiter zu reisen. Ich wies den befehlshabenden Lieutenant an, die Männer sollen sich zum Abmarsch bereit machen. Plötzlich bemerkte ich etwas im Augenwinkel, was mein Verstand direkt als unmöglich verwarf. Ich drehte mich um und was ich sah, kam mir unwirklich vor, so wie ein unausgesprochener Wunsch. Dann hörte ich nur noch: „Ihr wollt doch wohl nicht ohne mich los, oder?“
Und da stand er leibhaftig vor mir. Eric Longbow war mein bester Kamerad und Freund, als ich noch Soldat im Heer des Grafen von Stollhill war. Damals, als ich Knappe wurde, haben wir uns aus den Augen verloren. Und nun wurden in mir auf einen Schlag so viele gemeinsame Erinnerungen wach. Und noch etwas fiel mir auf. Eric trug wie gewohnt den blauweißen Rock, doch die abgesetzte Borde verriet mir, daß auch er es weitergebracht hatte.

„Eric, was machst du denn hier?“ fragte ich, obwohl mir im gleichen Augenblick wieder einfiel, daß ich vor vielleicht einem Monat den Grafen gebeten hatte, ob er sich nach dem Verbleib Eric´s erkundigen könne. Doch was Eric jetzt erzählte, war schier unvorstellbares. „Mein Herr, Graf Henry hat mich seinerzeit zu sich rufen lassen. Ich war kurz vorher erst zum Lieutenant befördert worden. Dann sagte er mir, er würde mich nach Mondschau schicken, wo ich einem neuen Herrn unterstellt würde und an der Westgrenze dienen sollte. Daß du dieser neue Herr sein solltest, erfuhr ich erst hier in der Burg. Aber um so mehr freue ich mich, dich wiederzusehen.“
„Und ich freue mich, daß ich wenigstens einen Menschen schon kenne, wenn ich meinen Dienst antrete. Aber daß der Graf etwas derartiges für mich tun würde, hätte ich ihm nie zugetraut. Larinar möge ihn beschützen.“
Nach einigen kurzen Erklärungen, wie es uns beiden ergangen war während der letzten zwei Jahre, brachen wir doch noch auf, um unsere erste Station Amalgaid noch vor Einbruch der Nacht zu erreichen.

So setzte sich unsere kleine Schar in Bewegung, nachdem uns der Kastellan von Mondschau mit allerlei guten Wünschen verabschiedet hatte. Eric und ich ritten vorweg, danach folgte der Träger des Banners mit den goldenen Balken auf Grün, den Farben von Dragonford und die Soldaten.

*  *  *

Wir übernachteten in der Stadt Amalgaid und ritten früh am nächsten Morgen weiter auf der alten Königsstraße, die direkt weiter nach Hypen führte. Unsere Gruppe erreichte den Rand des mächtigen Hertogenwald noch vor Mittag. Es gibt wohl niemanden in Vallconnan, der nicht von den Märchen und Sagen über diesen düsteren Forst gehört hat. Der Anblick der grünen Finsternis ließ bestimmt den einen oder anderen von uns wieder an Sagen glauben. Doch mein Wunsch war es, so zügig wie möglich nach Dragonford zu gelangen.

Also führte ich meinen Trupp nach einer kurzen Rast in den Wald. Als wir die Baumgrenze passierten, verschlang uns das ewige Dämmerlicht des Waldes mit seiner bedrückenden Stille. Abergläubig hätte man das, was uns umgab, als mehr wie nur Dämmerlicht bezeichnen können. Doch schnell verwarf ich diese Idee, umfaßte die Triskele, die um meinen Hals hing, kurz und schickte ein Stoßgebet an den Ausgleicher, auf daß wir alle unbeschadet aus diesem verwunschenen Wald wieder herauskommen sollten.

Auf der guten und teilweise gepflasterten Königsstraße kamen wir anfänglich sogar im Wald recht schnell voran. Doch als der Weg nach Dragonford von der Straße, die nördlich weiter bis Hypen Castle führte, abbog, wurde die Reise sehr beschwerlich. Denn langsam setzte auch die Abenddämmerung ein. Stückweise war der Weg so schmal, daß wir im Gänsemarsch gehen mußten und oft hingen Äste so niedrig, daß wir die Pferde am Zügel führten.

Mit zunehmender Dunkelheit, die das vorher schon wenige Licht noch mehr verdünnte, wurde die Luft erdrückend und unsere Gruppe wurde immer schweigsamer. Selbst Eric, der sonst so gerne plauderte, zog die Schultern hoch und den Mantel enger. Als die Finsternis zu stark wurde, zündeten wir einige Fackeln an. Das flackernde Licht der tanzenden Flammen tauchte das umliegende Blattwerk in ein wildes Schattenspiel und jedes Geräusch wurde von zwei Dutzend herumschnellenden Augenpaaren gewürdigt. Wenn jemand behaupten würde, dieser Wald habe nichts magisches oder fremdartiges an sich, so würde ich diesen jetzt an meine Seite wünschen.

Nach unzähligen Schritten folgte ich fast gedankenlos dem Licht des Fackelträgers vor mir, welches einem Irrlicht gleich hin und her glitt. So schwer war die Last der Dunkelheit, so erdrückend für alle Gedanken, daß ich erst durch einen kühlen Luftzug auf freiem Gelände gewahr wurde, daß sich das Blätterdach geöffnet hatte. Mein Blick zurück ließ mich meinen, daß die nachfolgenden Männer aus einem Stollen aus dem Innersten der Erde heraustraten. Die wenigen Sterne zwischen den vereinzelten Wolken ließen dann jedoch meine Hoffnung keimen, daß nicht alles Licht von dieser Welt verschwunden sei.

Ich schüttelte die finsteren Gedanken ab und stieg wieder auf mein Roß. Das große Tier war eines der schönsten Pferde im Gestüt von Stollhill. Und gerade dieses schenkte mir Graf  Henry zu Ehren meines Ritterschlags. Erics Pferd war um einiges kleiner und zierlicher als das meine. Trotzdem reichten seine Schultern fast an die meinen heran. Ich hatte tatsächlich vergessen, daß Eric seinen Beinamen Longbow nicht umsonst trägt.
Wir erreichten die Wachstraße, die entlang der Grenze verlief, etwa gegen Mitternacht. Von hier aus waren es noch 4 Meilen bis zur Burg. Meine Spannung stieg. Wie würden wir empfangen werden, was würde mich dort erwarten. Mit einem kräftigen Kopfschütteln vertrieb ich Anfänge von Zweifeln an meiner selbst aus meinem Hirn.

Ruhig, aber weniger bedrückt ritt unsere Schar weiter Richtung Norden.

*  *  *

Im Vergleich zu der endlos scheinenden Strecke durch die nachtdunkle Tiefe des Hertogenwaldes war das letzte Stück Weg unter dem matten Licht des Mondes im Nu hinter uns. Schon hatte wir die Kreuzung erreicht, wo der Burgweg von der Wachstraße abzweigt. Wenige Augenblicke später ritten wir durch bewirtschaftete Felder, auf denen gute Ernte stand. Weiter abseits des Weges lagen Obsthaine und kleine Viehweiden. Und dann sahen wir die Lichter der Hütten im Dorfe am Fuß des Burgbergs. Auf dem Gipfel konnte ich die sich undeutlich abzeichnenden Umrisse der Türme und Bauten erkennen. Auf einem großen Bauwerk am östlichen Ende der Wehranlage sah ich das schwache Glühen des großen Wachfeuers. Niemand würde vermuten, daß dieser fruchtbare und wunderschöne Landstrich vor nicht einmal drei Jahren von den Orks völlig verwüstet und die Burg fast bis auf die Grundmauern geschliffen worden war.

Als wir durch die kleinen Hütten ritten, errieten wir auch, warum zu solcher Stunde noch so viele Lichter brannten. Offensichtlich feierten die Menschen ein Fest. Doch mir war nicht danach, die Feierlichkeiten zu unterbrechen durch meine Ankunft und so ritt ich weiter den Burgweg hinauf in Richtung des mächtigen Tors von Dragon´s Keep, meinem neuen Heim.

*  *  *

Der erste Anblick der trutzigen Mauern und hohen Türme, den ich aus der Nähe erhielt, ließ mich hoffen, daß ich niemals gegen diese Burg würde anrennen müssen. Das letzte Stück vor dem unteren Tor war in Sicht, als plötzlich die Torflügel aufsprangen und bestimmt ein halbes Unit schwerbewaffneter und voll gerüsteter Krieger in Blauweiß herausstürmten. Im ersten Augenblick glaubte ich unterbewusst für den Bruchteil eines Augenblicks an einen Hinterhalt. Doch die Soldaten stellten sich schnurgerade entlang des Weges im Spalier auf, jeder zweite mit einer Fackel in der Hand. Auch wenn es kein Hinterhalt war, hörte mein Herz nicht auf, wie wild zu schlagen. Dies war der Augenblick, vor dem mir als erstes graute. Was erwarten diese Männer von ihrem neuen Herrn? Und kann gerade ich diesen Erwartungen entsprechen?

Langsam ritt ich weiter, krampfhaft meine Aufregung unterdrückend und allen guten Göttern dankend, daß wenigstens Eric Longbow durch seine bloße Anwesenheit ein wenig Seelenstütze leistete. Vor uns sah ich zwei Männer in der Mitte des äußeren Hofes stehen. Ich warf einen Blick zurück auf meinen Zug. Das Spalier schloß sich Mann für Mann unserem Trupp an. Als ich den Torbogen passierte, konnte ich die beiden wartenden Gestalten deutlicher erkennen. Der linke war ein stämmiger Mann, vielleicht Ende dreißig, mit einem buschigen Bart und dem Rock eines Offiziers. Der rechte der beiden war um ein vielfaches schlanker. Er trug eine lange weiße Kotta mit blauem Sûrcot und eine spitze Haube. Seine Haltung war leicht gebeugt, was meiner Meinung nach von zu viel unnötiger Ehrerbietung kam.

Es war der Offizier, der als erstes sprach: „Ich begrüße euch auf Burg Dragonford, Sir Braddock. Mein Name ist Graham Attwood. Ich bin der befehlshabende Major der Garnison und habe die Burg bis zu eurer Ankunft verwaltet.“ Meine erste Meinung über diesen Mann war reine Bewunderung seines sicheren und korrekten Auftretens und seine Sprache ohne jegliche Art von Schmuckwerk und Heucheleien. Ich begrüßte ihn ebenfalls recht knapp und bedankte mich für den Empfang. Dann ließ ich die Truppen, die jetzt im Hof links und rechts von mir Aufstellung genommen hatten, durch Major Graham abtreten. Ich war mir nicht sicher, welche Wirkung mein erster Befehl haben würde. Hätte ich sie stehen lassen sollen, um ihnen zweifelsfrei zu zeigen, wer ab sofort das Sagen hatte, oder würde mein Befehl als Weichlichkeit aufgefaßt. Doch das sollte die Zukunft zeigen.

Nun war es der rechte, welcher das Wort ergriff. Noch lange Zeit nach diesen ersten Sätzen, hallte mir der Tonfall im Ohr nach. Der Kämmerer, der sich als Steven of Riverwood vorstellte, hatte eine dermaßen aufdringliche Stimmlage und sein schlaksiges Verhalten waren mir ab der ersten Stunde eher unangenehm. Er überschüttete mich mit Glückwünschen und Komplimenten. Und er ließ nicht locker, bis ich nachgab und zu einem großen Willkommensgelage meine Zustimmung gab. Unter der Führung von Steven gingen Eric, der Major und ich die breiten Stufen zum inneren Tor hinauf, die Pferde am Zügel hinter uns. Ich muß gestehen, daß ich an diesem Abend dieser beeindruckenden Wehranlage wenig Beachtung schenkte. Die Müdigkeit, aber vor allem die ungeheure Konzentration, meiner noch ungewohnten Rolle gerecht zu werden, hielten mich weitestgehend davon ab, mir die Umgebung einzuprägen.

*  *  *

In der großen Halle angekommen, wartete dort ein gut gedeckter Tisch und einige gute Tropfen auf meinen leeren Magen. In kleinerer Runde erkundigte ich mich nach der momentanen Lage in der Burg, und natürlich nach Bewegungen am anderen Ufer der Mahas. Ich war froh, zu hören, daß die Lage ruhig geblieben war. Dann fragte ich nach dem Fest, welches die Menschen im Dorf so lange vom Schlaf fernhielt. Graham erzählte, daß die Arbeiter in der Erzmine heute nachmittag eine neue, große Ader entdeckt haben. Natürlich bemerkte Steven direkt hinterher, daß es ein gutes Omen sei und daß die Menschen das neue Glück mit der Ankunft ihres neuen Herrn in Verbindung brachten.

Wenig später ließ ich mir von Graham (Steven schickte ich mit Eric fort) den Weg zu meiner Kammer und den Abort zeigen. Ich dankte ihm nochmals für alles, und Graham verabschiedete sich mit den Worten: „Schlaft wohl, Sir Braddock. Morgen ist ein großer Tag. Möge Larinar euch gute Träume bescheren.“ Ich war froh, endlich von allen Augen, die mich erwartungsvoll anschauten, befreit zu sein. Schweigend und über die letzten Stunden nachsinnend legte ich meine Kleider ab. Hatte ich mich richtig und gebührlich verhalten? Hatte ich die Erwartungen der Menschen hier zufriedengestellt oder sie enttäuscht?

Bevor ich mich auf mein ungewohnt breites Lager legte, warf ich einen Blick aus dem Fenster meines hohen Gemachs. Der Blick ging geradewegs nach Westen in die Finsternis der Nacht über den Orklanden und in die Finsternis der ungewissen Zukunft. In genau diesem Moment nahm ich mir vor, das mein erster und mein letzter Blick an einem jeden Tag auf dieser Burg aus diesem Fenster sein sollte.

Ich legte mich hin und schlief wohl recht bald ein. So begann nach meiner Aufnahme als Soldat des Grafen, meiner Ernennung zu seinem Knappen und letztendlich meinem Ritterschlag nun wieder ein neuer Abschnitt meines Lebens.

Es begann eine große Aufgabe…

Erlebt und aufgeschrieben von Lars G., 08.1997
mit Dank an ZIPP.

Der grüne Zweig der Schwarzeiche

Märchen und Sagen gibt es viele, gerade in Vallconnan und ganz besonders hier in Hypen. Hier, wo der mächtige Hertogenwald seinen Schatten weit auf die Auen und Felder der Umgebung wirft, gedeihen rätselhafte Geschichten zu einer Vollkommenheit, die ihresgleichen sucht.

Die Geschichten zusammenzutragen oder aufzuschreiben, wäre genau so einfach, als ob man Gabbits zählen wollte. Doch die Folgende bedeutet für viele Menschen die Hoffnung auf Morgen. Und ganz besonders für eine Person hat sich diese Sage zu handfester Wahrheit gemausert.

Tief unter den Blättern des riesigen Forstes entspringt ein Bach unter einem Stein. Ab dem Waldrand nennen die Menschen diesen Fluß Hopefull Flood oder einfach Hope. Die Quelle liegt auf einer mit hohem Riedgras und Farn bewachsenen Lichtung. Von dieser Art Lichtung gibt es unzählige im Hertogenwald und auf manchen entspringt ganz ähnlich wie hier ein Bächlein. Doch etwas besonderes hat diese eine Lichtung gegenüber anderen. Egal ob Winterkälte oder Eonars Sommersonne, ob Regen oder Frühlingsluft. Die Bäume, die den Grasplatz säumen, werden niemals mit dem lebendigen Grün der Natur erfüllt. Von der Wurzel bis hoch zur letzten Blattspitze sind die schweren und uralten Eichen schwarz wie Kohle. Schwarz sind die Knospen im Larinar, schwarz fallen die Eicheln und schwarz gleiten die Blätter im späten Eonar lautlos auf den Waldboden. Schwarz ist der Stamm, das Geäst, ja selbst das Efeu, welches sich an manchen Stellen emporrankt, ist schwarz wie die Nacht. Doch keinesfalls tot sind die Baumriesen, denn jedes Frühjahr sprießen von neuem die dunklen Blüten.

Einmal jedoch in jeder Generation, einmal etwa alle zwei Dekaden sprießt an einem der zwei Dutzend Schwarzeichen ein grüner Zweig, wie uns die Sage erzählt. So leuchtend lebendig und so saftig grün trägt er im Larinar schillernd weiße Blüten und an ihm gedeihen große Früchte. Die Zeit des grünen Zweiges ist die Blütezeit der Natur und der Menschen. Das Jahr wird gut und Sorgen zerfallen zu grauen Erinnerungen. Der Götter Gunst und des Himmels Licht benetzen die Erde mit Wohlwollen.

Nur im Herbst bleibt einzig an diesem Zweig das Laub, kein Windstoß kann ein Blatt ihm entreißen. Doch über die Winterzeit verfärbt sich der Zweig und wird schwarz wie das übrige Geäst. Keiner hat je erlebt, daß der Zweig im folgenden Jahr noch grün war oder daß ein anderer Baum einen solchen sprießen ließ. Die stumme Gesellschaft der Schwarzeichen wird wieder für lange Jahre in Düsternis und Schwärze ihr rätselhaftes, aber auch wundervolles Geheimnis für sich behalten.

Allerdings muß man sich keine Sorgen machen, dieses Ereignis würde in Vergessenheit geraten. Die Hypener haben — abgesehen von ihrem Haß auf Orks — noch eine weithin bekannte Eigenschaft:  Sie lieben und pflegen ihre Geschichten und geben sie ausführlich und in aller Genauigkeit an Kinder und Kindeskinder weiter. So ist auch diese Geschichte bereits uralt und tausende Male erzählt und wieder erzählt worden. Trotzdem gibt es wohl keinen hier, der sie nicht für wahr und wahrhaftig hält. Überwältigende Ernten oder Sommer ohne Orkangriffe sind für die Menschen Beweis genug, daß der grüne Zweig an der Schwarzeiche ein gutes Omen ist. Egal, wen man fragt, gab es einen grünen Zweig, dann gab es auch ein besonderes Ereignis zum Wohle der Hypener Menschen. Umgekehrt kann jeder ein Unglück nennen aus einem Jahr ohne den wundersamen Sproß.

*  *  *

Als im zweiten Larinarmond des Jahres 482 nach der ersten vallconnischen Krönung die kleine Clarissa geboren wurde, ging in Hypen auch wieder die Nachricht um, daß ein grüner Zweig an einer der Schwarzeichen sprieße.
Und weiter heißt es, daß die Amme der kleinen immer frische Kräuter und wohlriechende Blütenstauden und Binsen an die Krippe gehängt haben soll.

Doch einer dieser Äste sei nicht – wie die anderen – nach einiger Zeit vertrocknet und verdorrt. Einer, der so frisch und grün gewesen und mit Blüten von reinstem Weiß tat auf wundersame Weise nicht welken. Aus Angst vor bösem Zauber befragte man sogar Kräuterfrauen und Wahrsager. Keiner konnte das Rätsel lösen, doch alle stellten fest, daß nichts böses an dem Aste sei. Und so wollte die Amme es als Glückszeichen sehen und ihn aufbewahren und an der Krippe belassen. Und das Jahr wurde ein vortreffliches. Die Ernten sprengten die Speicher und Frieden und Wohlstand herrschten landein landaus. Und kräftig wurde das Kind und gesund, aufdaß bald alle an die Zauberwirkung glaubten. Selbst als im Herbst die Blätter fielen an den Bäumen, behielt der Ast seine Frische und sein Leben wie ein Setzling in der Erde wärmenden Schoß.

Doch dann wurde es Winter. Die Locknar-Monde kamen und das Wunder schien vorüber, ja sich sogar zum umgekehrten gewendet. Denn die Blätter und Blüten, das Gehölz und die Stengel färbten sich schwarz wie die Nacht. Nicht trocknen wollte das Astwerk, doch Dusternis schien es zu umgeben. Voller Schrecken warf die Amme den Zweig aus dem Haus und in den Brunnen, der zu dieser Jahreszeit schon dick von Eis zugefroren war. Zu allen Göttern betend, daß dem Kinde kein Unheil widerfahren solle, verbrachte sie die Nacht und noch einen Tag.
Dann aber am Abend des folgenden Tages packte sie die Neugierde und sie ging hinaus zum Brunnen, wo sie den Ast in den metertiefen Schacht hatte fallen lassen. Und siehe, er ward verschwunden, von keines Menschen Hand erreichbar oder berührt, entschwand der Zweig aus dem Brunnen und ins Nichts, von wo er einst war aufgetaucht.

Jahre später hörte die junge vallconnische Dame von der Sage vom grünen Zweig der Schwarzeiche. Und ihre alte Amme, die so lange geschwiegen aus Angst, er möge doch Unheil gebracht und verbreitet haben, erzählte von den Begebenheiten in Clarissas Kindheit. Und so erfuhr sie von dem Glückszweig an ihrer Wiege und vom Wohlstand und von der Freude, die er verbreitet hatte.

Und als es sich begab, daß die junge Dame sich verloben tat und zur Freifrau ernennet wurde, just in diesem Jahr kam die Kunde von einem neuen Zweige, welcher grün und saftens an einem der alten stolzen Schwarzeichenbäume sprießen solle. Selbst überzeugen wollte sich die Edeldame und reiste gar selbst in den tiefen Forst. Sie ließ sich den Weg weisen und gab nicht eher auf, bis sie die Lichtung gefunden, wo die Wunderbäume standen.
Und siehe da. Mit eigenen Augen sah sie das Wunder. Stark und schwer hing er da, der Zweig, mit vielen Blüten und großen Blättern. Nun glaubte sie alles von der Geschichte. Und das Jahr war eines der besten, die Ernten reich und die Menschen gesund. Ruhig waren die Grenzen meist und das Volk litt keine Not.

Und so wählte sich das Kind des Wunderzweiges, die edle Lady Clarissa den Zweig, den grünen Zweig der Schwarzeiche, zum Symbol in ihrem Wappen. Auf daß er immer Glück und Frieden bringe und seine schützenden Blätter über den Bedürftigen ausbreite.

So erzählt uns die Sage.

 

Geschrieben von Lars G. 02.1999 / 01.2000
„Eine Geschichte über Clarissas Wappen“
mit Zustimmung von Kristin J.

Lied der Löwen von Hypen

Wer schon mal eine größere Gruppe Vallconnan getroffen hat, der hat irgendwann auch sicher ein gesummtes oder gepfiffenes Marschlied gehört, welches in Vallconnan sehr bekannt und beliebt ist.

Es war dann „The Lions of Hypen – March“, das Lied der Hypener Löwen. Es handelt von einer sehr bekannten vallconnischen Soldateneinheit aus der Grafschaft Hypen an der Westgrenze zu den Orklanden. Siehe auch im Glossar: Hypener Löwen.

Der alt-vallconnische Text zu dieser traditionellen Melodie ist in Bruchstücken überliefert und wurde erstmalig von Sir George of Griffinshire vor vielen Jahren gesammelt und ergänzt und später von Sir Braddock of Longfaye vervollständigt:

Go Hypen Lions forward
take your helmets, shields and swords
go Hypen Lions forward
take your helmets, shields and swords.

When your banners fly
as you’re passing by
you fill our hearts with pride
go Hypen Lions forward
now victory’s on our side.

Go Hypen Lions forward
guard the land and shield our home
go Hypen Lions forward
for the eagle and the throne.

Western frontier calls
when the castle walls
come tumbling down a’where
go Hypen Lions forward
afore the end is near.

Go Hypen Lions forward
Locknar’s claim is right ahead
go Hypen Lions forward
and yell loud back: not yet!
(altern.: so present him orcs instead)?

Bleeding to the death
drawing one last breath,
all hope is ash and grime,
go Hypen Lions forward
in the very nick of time.

*  *  *

OT-Info: Die Vorlage der Melodie haben wir bereits 1997 Jahren respektvoll adaptiert von einem traditionellen britischen Soldaten-Marschlied, welches zum Beispiel in einer Aufnahme für den Film „Barry Lyndon“ zu finden ist unter:

http://www.youtube.com/watch?v=I4RuNuPH3ik
(Externer Link. Sollte dieser Link einmal nicht mehr aktuell sein, freuen wir uns über eine kurze Nachricht.)

Viel Spaß beim Anhören und mitpfeifen. Und wer den Text drauf hat, umso besser…

T.: Lars G. / Hagen H.
M.: traditionell

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